Mein persönlicher Jahresrückblick in Bezug auf Uganda berührt viele existenziellen Dinge im Leben: Liebe, Tod, Krankheit, Angst und Familie. Ich hatte viele Momente, in denen ich nicht wusste, wie ich reagieren soll, was in Uganda von mir erwartet wird und was nicht. Und ich bin dankbar und froh, dass die ugandische Familie mich in mehreren Situationen nicht nur symbolisch an die Hand genommen hat.
Liebe: Meine erste Hochzeit in Uganda
Ich bin im April 2016 nach Kampala gereist. Am selben Tag, das wusste ich vorher, heiratete ein enger Freund meines Bruders Akim. Ich war eingeladen. Es sollte eine traditionelle, muslimische Hochzeit sein, so viel war mir bekannt. Ich zog mich nach dem achtstündigen Flug auf der Toilette in Entebbe um und trug für den festlichen Anlass ein Kleid. Das würde ich aber nicht anbehalten, erfuhr ich später.
Mit Verspätung holten mich Akim, seine Frau Husna und die achtjährige Tochter Hannah mit dem Auto ab. Sie hatten im täglichen Stau in Kampala gestanden. Vom Flughafen aus dauerte es etwa zwei Stunden, bis wir in dem Dorf bei der Hochzeit ankamen. Für die Vermählungszeremonie waren wir zu spät. Im Auto bekam ich eine(n) „Gomez“ überreicht, das traditionell festliche Gewand, das Frauen in Uganda tragen (siehe oben). Das Gewand wird vorne mit einem Gürtel gebunden. Den hatten sie vergessen, deshalb bekam ich den zu kurzen Gürtel von Hannah umgebunden. Wir Frauen zogen uns alle im Auto um.
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Das frisch vermählte Ehepaar
Braut und Bräutigam haben am Haus der Braut selbst geschmückt. Es war alles voller Lichtergirlanden, Zelte und Dekoration. Etwa 300 Gäste waren gekommen. Die Hälfte saß auf der Seite der Braut, die andere auf der Seite des Bräutigams. Es gab zwei „Speaker“, die sich auf Luganda mit Megaphon gegenseitig einen Schlagabtausch lieferten. Verstanden habe ich nur Bruchstücke bzw. einzelne Worte. Irgendwann sprachen sie mich an, ich musste aufstehen und einmal in die Menge winken. Eine große Ehre, dass eine Weiße zu ihrer Hochzeit gekommen sei, sagte mir der Bräutigam später. Er heißt Shakul. Die Nachbarn in dem Dorf waren offenbar so beeindruckt, dass sie noch Tage später darüber sprachen.
Die Hochzeit war schnell vorbei
Auf der Hochzeit bekam das frisch vermählte Ehepaar ein Geschenk nach dem anderen überreicht. Die Braut zog sich während der Veranstaltung mehrmals um und hatte immer ein anderes Kleid an. Nach den Geschenken gab es Essen für die Gäste. Es war in kleinen Kartons portioniert. Darin u.a. etwas Hühnchen und Kuchen. Und nach dem Essen, das fand ich am verwunderlichsten, standen alle auf und gingen nach Hause. Klar war mir bewusst, dass auf muslimischen Hochzeiten kein Alkohol getrunken wird. Aber es scheint auch Brauch, dass das Ehepaar am Abend noch Zeit für sich hat.
Schönes Ende der Geschichte: Shakul und seine Frau haben für drei Tage eine Honeymoon-Suite in einer Lodge gemietet – statt Flitterwochen. Nach drei Tagen bekam Akim einen Anruf. Wir sollten sie abholen. Und aber bitte auch etwas zum Anziehen mitbringen. Die beiden hatten es so eilig in ihre „Flittertage“ zu kommen, dass sie in Hochzeitskleid und Anzug losgefahren sind, aber Wechselklamotten vergessen hatten.
Tod: Mein ugandischer Vater starb an einem Herzinfarkt
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Akims Vater bei unserem ersten Treffen im April 2916. Er verstarb im Oktober 2016 an einem Herzinfarkt
Im Oktober 2016 war ich erneut zu Besuch bei der Familie. Ich wollte in der Woche Geschichten aufschreiben und Fotos machen. Ich hatte mir ein paar Interviewtermine in die Woche gelegt. Unter anderem war ich bei einer Moschee in Kampala, die auf besondere Weise mit meiner Familie dort verbunden ist. Einer der Vorfahren hat sie erbaut.
Auf dem Weg zur Moschee trafen Akim und ich seinen Vater. Er war das Oberhaupt der Familie. Die Ugander sprechen hier von ihrem „Clan“, was mehrere Familien beinhaltet. Der Vater begrüßte mich freundlich. Von ihm habe ich meinen Namen „Nassanga“ bekommen, was übersetzt „Stoßzahn eines Elefanten“ bedeutet. Wir sprachen nur kurz, denn er wollte in die Moschee und beten.
Die schreckliche Nachricht kam in der Nacht
Am nächsten Morgen erfuhr ich, dass Akim in der Nacht einen Anruf erhalten hatte. Sein Vater war plötzlich an einem Herzinfarkt gestorben. Darauf war keiner vorbereitet.
In kürzester Zeit wurde die ganze Familie mobilisiert. Bei Muslimen ist es Brauch, dass die Toten direkt am nächsten Tag bestattet werden, erzählte mir Akim später. Rund 500 Menschen kamen in das Dorf des Vaters, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Ich sollte nicht mitkommen, denn mein gesamter Körper war von Bettwanzen zerbissen und die Familie hatte Angst mich Moskitos auszusetzen. Weil so viele Menschen in das Dorf gekommen waren, mussten sie alle unter freiem Himmel schlafen.
Der Vater war ein sehr weiser, aufrichtiger und herzlicher Mann. Sein politisches Wissen und seine Neugierde waren sehr ausgeprägt. Ich erinnere mich, dass seine erste Frage an mich (nach dem Kennenlernen) war: “Funktioniert die Europäische Union?” Wir sprachen damals lange über wirtschaftliche Entwicklungen in Europa und Afrika.
Ich hätte gerne mehr Zeit mit ihm verbracht.
Krankheit: Bettwanzen und ihr tiefes Verlangen nach meinem Körper
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Über 150 Bettwanzenbisse schmücken meinen Körper
Das ist ein kleiner Vorgeschmack auf den Beitrag, der in der zweiten Januarwoche erscheint. Ich verraten wohl nicht zu viel, wenn ich sage: Es haben zwei Nächte gereicht, damit ich 150 Bettwanzenbisse am ganzen Körper zählen konnte.
Vor allem an den Armen haben mich die kleinen Biester an jeder freien Stelle angenagt. Ich muss so unendlich gut schmecken. Der Juckreiz war kaum auszuhalten. Ich habe mich nachts manchmal auf den kühlen Steinboden gelegt, denn nur Kälte hat den Juckreiz kurzzeitig etwas gelindert.
Dummerweise war mein Körper irgendwann nicht mehr imstande dagegen anzukämpfen und beide Arme schwollen an wie bei einem Michelin-Männchen. Ich wurde ins Krankenhaus gebracht und bekam vermutlich (so ganz genau weiß ich es nicht) eine ordentliche Dosis Kortison und Antihistaminikum in Tablettenform verabreicht.
Anschließend wurde es zwar schnell besser, aber die Narben an den Armen sind auch heute (zwei Monate später) noch sichtbar. Um die Bettwanzen zu bekämpfen, musste ein Kammerjäger kommen.
Angst: Bei den Wahlen war die Lage in Uganda unsicher
Im Februar wurde in Uganda gewählt. Präsident Yoweri Museveni ist mit 60,6 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt worden. Er führt das Land seit 1986 an. Sein Hauptrivale Kizza Besigye bekam 35,6 Prozent der Stimmen. Besigye bezeichnet das Wahlergebnis als gefälscht und sieht sich selbst als knappen Sieger der Wahl. Weitere Informationen dazu auf der Seite des Auswärtigen Amtes.
Ich habe bereits drei Tage vor der Wahl keinen aus der Familie und keine Freunde mehr erreichen können. Soziale Medien wurden gesperrt. WhatsApp, Facebook und Twitter konnten nicht genutzt werden. Auch mobile Bezahlsysteme waren betroffen. Ich hatte große Angst, dass es Ausschreitungen in Uganda gibt.
Laut Reporter ohne Grenzen sind in den Monaten vor der Wahl mehr als vierzig Journalisten festgenommen und angegriffen worden. Mir wurde später ein Video geschickt, auf dem eine Journalistin vor laufender Kamera
festgenommen wird. Sie war anschließend tagelang verschwunden. Keiner wusste, in welchem Gefängnis sie ist. Die Qualität des Videos ist schlecht, das bitte ich zu entschuldigen. Aber so etwas habe ich eben geschickt bekommen.
Meiner Familie ist bei den Wahlen und den Ausschreitungen, die sich im Rahmen hielten, glücklicherweise nichts passiert. Die Angst war trotzdem groß.
Familie: Schwester und Tante mit allen Lebenslagen
Ich habe es anfangs als Floskel abgetan, wenn ich mit „Schwester“ betitelt wurde. Es ist auch durchaus üblich jemanden „Sister“ zu nennen, dem man nahe steht. Aber dass ich tatsächlich zur Familie gehöre, wurde mir in einzelnen Situationen bewusst.
Der Moment, in dem ich meinen offiziellen, ugandischen Namen „Nassanga“ bekam, der hat mir gezeigt, dass unsere Verbindung tief ist. Die Kinder von Akim rufen mich „Auntie Uta“ oder „Auntie Nassanga“ und es ist für sie selbstverständlich, dass sie mich sowohl in der Schule als auch bei Freunden und Nachbarn als ihre „Tante“ vorstellen.
Ich muss deshalb manchmal innerlich grinsen, denn als Tante und Schwester hat man durchaus Einfluss mit dem, was man sagt oder tut. Ich erinnere mich, dass ich im Frühjahr eine Sprachnachricht über WhatsApp bekam, in der eine der Töchter von Akim völlig aufgelöst weinte: „Tante Uta – schluchz – Tante Uta – schluchz -, sag Hayati, dass sie mir den Malstift wiedergeben soll! – schluchz“. Ich schickte eine Sprachnachricht zurück: „Hayati, Du musst den Malstift teilen. Es ist nicht allein Dein Stift. Er gehört euch allen.“ Und siehe da – der Kinderstreit war beendet. Die Mädchen wechselten sich beim Malen ab. Nur, weil ich es gesagt hatte. Das fühlt sich bis heute sehr unwirklich an.
Möge es in 2017 insgesamt etwas “leichter” werden.