Es waren einmal viele einsame Bettwanzen… – sollte ich so weiterschreiben, könnte man den Eindruck gewinnen, dass es etwas mit Romantik zu tun habe. Es war nicht romantisch, es hatte rein gar nichts mit Romantik oder sogar Liebe zu tun (sage ich! Die Bettwanzen würden vielleicht etwas anderes schildern), es war aber in der Situation auch nicht komisch und ich hätte die Erfahrung „wie fühlt man sich als Michelin-Männchen“ mit zwei geschwollenen Armen durch mehr als 150 Bettwanzen-Bisse auch nicht unbedingt gebraucht – es ist aber nun mal passiert und bis auf ein paar Narben ist nichts zurückgeblieben. Aber jetzt die Geschichte von Anfang an…
Kleine Käfer an der Wand – na und?!
Als ich im Oktober 2016 zu Besuch bei meiner ugandischen Familie war, haben sie mir wieder einen ganzen Raum in der Dreizimmerwohnung überlassen. Üblicherweise schlafen mein Bruder und seine Frau in dem Raum mit dem Doppelbett. In den Tagen meines Besuchs ziehen sie ins Kinderzimmer um. Davon lassen sie sich auch leider nicht abbringen.
Als ich mit meinen Koffern in das Zimmer kam, fielen mir die platten, kleinen Käfer an den Wänden auf – insgesamt etwa vier bis fünf, die ich entdeckte. Der Raum ist beige gestrichen, darum sind schwarze Krabbeltiere nicht lange unsichtbar. Ich habe mir die Viecher auch in Ruhe angeguckt und gesehen, dass sie wie Wanzen aussehen. Aber ich habe mich nicht weiter bedroht gefühlt. Warum auch? Anderer Kontinent, andere Tiere. Wird schon nichts Wildes sein. Die anderen schlafen ja auch in der Wohnung. Ich wusste es nicht besser. Und ich ahnte auch nicht, dass mich die Bettwanzen als All-you-can-eat-Buffet auswählen.
Die ersten Kontaktaufnahmen in der Nacht
In der ersten Nacht bin ich mehrmals aufgewacht. Das ist nicht außergewöhnlich. Es ist heiß, die Bar nebenan spielt bis zum frühen Morgen laute Tanzmusik, mal weint eines der vier Kindern. Ich brauche immer ein paar Tage, um mich an die Geräuschkulisse zu gewöhnen. Sie gefällt mir, es ist also nicht unangenehm. Es ist nur anders.
In der Nacht habe ich ab und zu die Taschenlampe angemacht, um auf die Uhr zu schauen oder zu kontrollieren, dass es auch wirklich keine Moskitos unter das Netz geschafft haben. Dabei ist mir durchaus aufgefallen, dass ein paar der platten Wanzen-Käfer auf dem Netz krabbelten (außen – also uninteressant für mich), ein paar aber auch neben mir auf der Bettdecke marschierten. Die zwei bis drei Tiere habe ich dann rausgeschmissen – also aus dem Bett – und habe dann weiter geschlafen.
Am Morgen danach hatte ich an meinen Armen etwa 20–30 „Stiche“. Zumindest war ich bis zu dem Zeitpunkt davon überzeugt, dass diese „Stiche“ von Moskitos kommen. Sie brauchen oft nur ein kleines Loch, um den Weg ins Innere des Netzes zu finden und zuzustechen. Man hört sie nicht, man sieht sie nicht. Und wenn sie satt sind, verschwinden sie wieder ohne ein Lebewohl. Problematisch: Manchmal muss es gar kein Loch im Netz sein, damit sie ihre Pläne in die Tat umsetzen – manchmal reicht es mit der nackten Haut das Netz zu berühren, dann stechen Moskitos auch durch das Netz durch.
Sie kamen, sahen und saugten
Am zweiten Morgen bin ich aufgewacht und wunderte mich über meine Arme, den Bauch, den Rücken. Beine und Gesicht waren seltsamerweise nicht „überfallen“ worden. Ein „Stich“ neben dem anderen. Ohne Kompromiss.
Die vierjährige Tochter meines Bruders liebt es zu zählen. Wir haben uns nach ihrem Vormittag im Kindergarten hingesetzt und uns den Spaß gemacht die Bisse zu zählen – wir haben bei 150 aufgehört! Und das waren nur die Arme.
Die Schwägerin meines Bruders war morgens da. Ich habe sie gefragt, ob es sein kann, dass ich unvorsichtig mit den Moskitos war. Aber ich wüsste auch nicht wann und wie. Abends hatte ich mich eingesprüht, das Netz kontrolliert. Sie guckte mit großen Augen auf meine Arme und sagte erst mal gar nichts. Ich redete weiter und erzählte von den kleinen schwarzen Käfern. Sie fiel mir ins Wort und sagte: „Uta-Nassanga, das sind keine Käfer, das sind Bettwanzen!“
Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit… und ein bisschen Naivität
Auch zu diesem Zeitpunkt muss ich zugeben, dass mir das wahre Ausmaß der Übermut, des Hungers und der Arroganz nicht bewusst war, die von diesen wilden Bestien ausging. Bettwanzen?! Nun gut. Tun die was? Ja? Ach so! Kann man die „weg sprühen“? Nicht? Mhm. Na dann… werde ich wohl die anderen fünf Nächte auch noch in dem Bett schlafen. Die Schwägerin machte zwar sehr große Augen, widersprach mir aber nicht. Das deutete ich als Zustimmung.
Und ich hatte es zu dem Zeitpunkt wirklich vor. Mein Gedanke war: Wenn die alle hier mit Bettwanzen schlafen, will ich dann die verwöhnte Deutsche sein, die sich anstellt? An dieser Stelle sollte ich vielleicht hinzufügen, dass die Familienmitglieder mal hier, mal da einen Biss hatten, aber sehr selten und nur wirklich nur vereinzelt.
Mir wurde erst bewusst, dass es vielleicht keine normale Situation war, als Akim nach Hause kam. Er sah meine Arme, riss sie hoch, quietschte in den höchsten Tönen, dass eeeerrrrr in dddiiieeessseerrrr Wohnung nicht eeeeiiiinnnneeee weitere Nacht schlafen würde. Und übrigens auch keiner aus der Familie. Und damit startete die Evakuierung.
Die Wahrheit über Bettwanzen
Natürlich betrachte ich mich heute als staatlich geprüfte Bettwanzenexpertin, denn ich habe das gesamte Internet leer recherchiert. Diese Tiere sind wahre Überlebenswunder und erinnern mich sehr an Zecken. Sie schaffen es nach einer Mahlzeit mehrere Monate ohne weitere Nahrung zu überleben, wenn es denn sein muss. Zu meiner Beruhigung übertragen Bettwanzen (anders als Zecken) keine Krankheiten. Die Stiche jucken nur verdammt stark.
Bettwanzen sind weltweit verbreitet – auch in Deutschland. Reisende nehmen die Kleinen oft unbewusst im Koffer mit. Wenn sie sich erst einmal eingenistet haben, dann hilft nur eines: der Kammerjäger!
In Indien stellt man üblicherweise die vier Bettpfosten in eine mit Wasser gefüllte Dose, erzählte mir eine Freundin, die ein paar Monate in Indien gearbeitet hat. Sie erreichen dann gar nicht erst das Bett, weil sie im Wasser ertrinken. Die Betten in Uganda sind aber meistens aus Holz. Damit ist dieser Trick hinfällig, denn das Holz würde im Wasser faulen.
Die einzelnen Artikel und Informationen über Bettwanzen unterscheiden sich nur geringfügig. Einen etwas älterer Artikel, in dem aber alles gut zusammengefasst ist, habe ich hier verlinkt.
Mit geschwollenen Armen ins Krankenhaus
Im Rahmen der Evakuierung wurden die Kinder und Erwachsenen auf andere Familien verteilt, ich buchte mich in einer Lodge ein.
In den Nächten war der Juckreiz am schlimmsten. Kälte konnte ihn etwas verringern. Da das aber bei gefühlten 30 Grad in der Nacht ohne Klimaanlage oder Ventilator eine Utopie war, lag ich streckenweise auf dem zumindest etwas kühleren Steinboden des Zimmers. Das allerdings konnte ich nicht zu lange machen. Denn ohne Netz war ich ein gefundenes Fressen für Moskitos.
Sämtliche Cremes gegen Juckreiz schlugen nicht mehr an, auch Kortisonsalben zeigten keine Wirkung. Allerdings rebellierte mein Körper. Die Arme schwollen an, die Haut straffte sich.
Akim packte mich in den Wagen und fuhr mich in ein Krankenhaus nach Kampala. Dieses Krankenhaus war eher mit einer Großraumpraxis zu vergleichen, in der mehrere Ärzte angesiedelt sind. In kleinen Kabinen steht ein Tisch und eine Liege. Die Wände schienen sehr dünn und dienten wohl eher als Sichtschutz. Denn oben unter der Decke war eine Lücke, wie man sie von öffentlichen Toiletten kennt. Gespräche in der Nebenkabine hätte ich gut mithören können. Zu dem Zeitpunkt war aber kein großer Patientenandrang.
Bei der Untersuchung sah ich ein leichtes Grinsen in dem Gesicht des Arztes. Es ging in ein schallendes Lachen über, als ich ihm mitteilte, dass ich mich nicht wehren würde, wenn er beide Arme amputieren wolle. Ich wäre dazu durchaus mittlerweile bereit.
Das Ende der Geschichte
Was mir der Arzt im Krankenhaus auch immer für Medikamente verschrieb – es half. Ich vermute, dass es Kortison- und Antihistaminika-Tabletten gegen die allergische Reaktion waren. Ich hätte zu dem Zeitpunkt aber auch alles genommen, damit der schlimme Juckreiz aufhört und sich die heiße, brennende Haut etwas erholen kann. Gekostet hat mich der Arztbesuch im Krankenhaus etwa zehn Euro.
Nach meiner Rückkehr habe ich den Koffer weggeworfen und alle Kleidungsstücke direkt gewaschen. Rucksack, Taschen und Kulturbeutel wurden in der Badewanne eingeweicht, denn Bettwanzen ertrinken. Und da ich vermeiden wollte, dass ich auch hier in Deutschland irgendwann kleine, platte „Käfer“ an den Wänden entdecke, habe ich alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen getroffen.
Heute habe ich noch ein paar Narben an den Armen und am Bauch und bin um eine Reiseerfahrung reicher. Ob ich das unbedingt gebraucht hätte – ich behaupte: nein! Aber ich weiß heute, dass ich beim nächsten Aufeinandertreffen mit Bettwanzen keine Minute in ihrer Nähe bleibe. Es war für mich eben nicht die große Liebe!